Verlassenes Kind – wenn Nähe nur weh tat

Verlassenes Kind – wenn Nähe nur weh tat

Es ist schwer, das zu erklären. Dieses Ziehen in der Brust, das manchmal einfach auftaucht, ohne dass etwas Konkretes passiert ist. Kein richtiger Schmerz. Mehr wie ein Echo. Ein leiser Rest von etwas, das früher passiert ist. Etwas, das man nicht wirklich benennen kann, aber das geblieben ist.

Ich habe lange geglaubt, das sei normal. Dass Nähe eben so ist – anstrengend, unsicher, unberechenbar. Dass man sich innerlich wappnet, wenn jemand näher kommt. Nicht, weil man es nicht will. Sondern weil man irgendwann gelernt hat, dass es gefährlich werden kann, sich zu öffnen.

Ich erinnere mich nicht an klare Szenen aus meiner Kindheit. Keine Bilder. Aber ich erinnere mich an ein Gefühl: dieses ständige „nicht wissen, wo man hingehört“. Zu laut sein. Zu viel. Oder: gar nicht wahrgenommen werden.

Es war oft viel los um mich herum. Stimmen, Anforderungen, Erwartungen. Aber in mir war es still. Ich wusste früh, dass es nicht gut ist, zu viel zu zeigen. Zu traurig, zu wütend, zu bedürftig zu sein. Also habe ich gelernt, mich zusammenzufalten. Leise zu werden. Angepasst. Lieb.

Ich weiß nicht genau, wann ich angefangen habe, Nähe mit Gefahr zu verknüpfen. Vielleicht war es kein einzelner Moment. Vielleicht war es die Summe all der Male, in denen ich versucht habe, mich zu zeigen – und etwas zurückkam, das weh tat. Vielleicht nur ein Blick. Oder ein genervter Ton. Ein abgewandtes Gesicht.

Und ich glaube, du kennst das auch. Du musst nichts sagen. Ich sehe es in dem kleinen Zögern, wenn jemand dich umarmen will. In der Art, wie du sprichst – vorsichtig, suchend, und manchmal ganz schnell wieder vom Thema weg.

Ich habe Nähe oft mit Anspannung verwechselt. Mit diesem Gefühl, sich zusammennehmen zu müssen. Bloß nicht zu viel sein. Bloß nicht falsch. Ich dachte, Liebe fühlt sich so an. Eng. Laut. Schwer.

Dabei hatte ich so große Sehnsucht nach etwas anderem. Nach einem Ort, wo ich atmen kann. Wo jemand bleibt, auch wenn ich still werde. Auch wenn ich mich nicht erkläre. Auch wenn ich nicht funktioniere.

Aber diesen Ort gab es damals nicht. Also wurde ich mein eigener Ort. Ich hab alles in mir eingeschlossen. Ganz tief. So tief, dass ich irgendwann selbst nicht mehr wusste, was da alles drin ist.

Und manchmal, ganz plötzlich, kommt es zurück. Ohne Vorwarnung. Beim Einschlafen. In der Stille. In einem Blick. In einer Berührung.

Dann zieht sich alles zusammen. Der Körper erinnert sich. Nicht mit Worten. Sondern mit Enge im Hals. Mit Herzklopfen. Mit diesem uralten Wunsch, gesehen zu werden – und gleichzeitig dem Reflex, sich zu verstecken.

Ich erzähle dir das nicht, weil ich glaube, dass ich es besser weiß. Ich erzähle es, weil ich glaube, dass du es auch fühlst. Und vielleicht ist es leichter, wenn einer den Anfang macht.

Wir mussten früh stark sein. Zu früh. Aber wir sind nicht mehr dort. Und auch wenn das alte Gefühl noch da ist – wir sind heute hier. Und vielleicht muss Nähe nicht für immer wehtun.

Ich sag das nicht laut. Ich flüstere es. So wie man etwas sagt, das kostbar ist.

Nur, wenn du es hören willst.

Ich bin hier.

Author

  • Melina Lauer Fuchs

    Ich bin Melina, Autorin dieses Textes. Mit meinen Worten möchte ich berühren, aufrütteln und zum Nachdenken anregen. Themen wie emotionale Verletzungen, familiäre Muster und inneres Wachstum begleiten mich seit vielen Jahren – beruflich wie persönlich. Wenn du dich in meinen Zeilen wiederfindest, dann weißt du: Du bist nicht allein.

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