Braves Kind – Wenn innerlich Chaos herrschte
Ich war das Kind, das selten widersprach. Das, das „alles gut“ sagte, auch wenn es nicht stimmte. Ich wusste, wie man sich verhält, damit alles ruhig bleibt. Ich habe früh gelernt, zu beobachten, zu spüren, was andere brauchen – noch bevor sie es aussprachen.
Ich konnte lächeln, während in mir ein Knoten war. Ich konnte zustimmen, obwohl ich es nicht fühlte. Ich habe nicht gelernt, laut zu sein, sondern leise zu funktionieren. Und es hat funktioniert. Zumindest von außen.
Innen war es oft unklar. Ein Durcheinander aus Unsicherheit, Anspannung und dem Wunsch, nichts falsch zu machen. Nicht, weil jemand es verlangte, sondern weil ich dachte, es müsse so sein. Weil „lieb sein“ irgendwie sicher war.
Ich erinnere mich an das stille Vergleichen mit anderen, an das permanente Hinterfragen: Bin ich so richtig? Habe ich genug getan? Was, wenn jemand enttäuscht ist?
Oft habe ich gewartet, dass jemand fragt, wie es mir wirklich geht – nicht nur höflich, sondern ehrlich. Dass jemand merkt, wie viel ich zurückhalte, um nichts durcheinanderzubringen. Aber die Frage kam selten. Vielleicht, weil ich so gut darin war, es zu verbergen.
Es gab Momente, in denen ich selbst nicht mehr wusste, was ich eigentlich fühle. Weil ich so sehr damit beschäftigt war, es anderen recht zu machen. Und weil „Chaos“ in mir keinen Platz hatte, nicht in einer Welt, in der Ruhe und Harmonie das Ziel waren.
Heute weiß ich: Das brave Kind war nicht falsch. Es hat getan, was es konnte, um durchzukommen. Es war klug, achtsam, feinfühlig. Aber es war auch oft allein mit dem, was es wirklich bewegt hat.
Ich schreibe das nicht, weil ich Antworten habe. Nur, weil ich weiß, dass dieses stille Funktionieren Spuren hinterlässt. Und weil ich glaube, dass viele es kennen – dieses innere Chaos, das niemand sieht.
Manchmal hilft es einfach, es auszusprechen. Zu sagen: „Ja, ich war auch so.“ Nicht, um Mitleid zu bekommen. Sondern um sich selbst ein Stück näher zu kommen.
Heute versuche ich, das brave Kind in mir nicht mehr zu übergehen. Ich frage öfter: Was brauchst du wirklich? Und manchmal höre ich eine Antwort. Manchmal auch nicht. Beides ist okay.
Es geht nicht darum, jetzt laut zu werden oder Grenzen zu ziehen, nur weil man es „jetzt richtig machen“ sollte. Es geht vielmehr darum, Raum entstehen zu lassen – für all das, was damals keinen Platz finden durfte. Und sich zu erlauben, nicht immer stark, beherrscht oder angepasst sein zu müssen.
Ich bin noch dabei, das zu lernen.