Narzissten trinken – und bestrafen dich dafür

Narzissten trinken – und bestrafen dich dafür

Alkohol verändert Menschen – doch bei Narzissten wirkt er oft wie ein Verstärker. Was im Alltag schon schwierig ist, kann unter Alkoholeinfluss zur emotionalen Achterbahnfahrt werden. Ihre Fassade beginnt zu bröckeln, aber nicht in einer Weise, die Nähe schafft oder Verletzlichkeit zeigt, sondern auf eine Weise, die andere verletzt. Narzissten trinken, um Kontrolle zu behalten oder Schmerz zu betäuben – und wenn sie die Kontrolle verlieren, bestrafen sie meist die Menschen, die ihnen am nächsten stehen.

Wenn Alkohol die Maske löst

Viele Narzissten leben in einem ständigen inneren Spannungsfeld zwischen dem Bild, das sie von sich selbst aufrechterhalten, und der Realität, die dieses Bild immer wieder bedroht.

Alkohol verschiebt diese Grenzen. Er senkt Hemmungen, macht impulsiver und emotional unkontrollierter – und genau das lässt die Fassade bröckeln, die Narzissten so sorgfältig pflegen.

Ein Beispiel: Ein narzisstischer Partner, der sich im Alltag charmant, witzig und kultiviert zeigt, kann nach ein paar Gläsern Wein in eine ganz andere Rolle kippen. Plötzlich kommen spöttische Bemerkungen, unterschwellige Beleidigungen, die als „Witz“ getarnt sind.

Wenn der Partner verletzt reagiert, heißt es: „Du bist zu empfindlich.“ Der Alkohol wird zur Rechtfertigung für jede Grausamkeit, und die Verantwortung verschwindet – nie bei ihm, immer bei dir.

Alkohol als Verstärker des Machtspiels

Für viele Narzissten ist Trinken kein bloßer Genuss, sondern Teil ihres Machtspiels. Sie trinken, um Grenzen zu testen, um Reaktionen zu provozieren, oder um andere in emotionale Abhängigkeit zu bringen.

Wenn sie betrunken sind, nehmen sie sich Freiheiten, die sie sonst vielleicht kontrollierter tarnen würden.

Ein narzisstischer Vater, der auf einer Familienfeier zu tief ins Glas schaut, nutzt den Alkohol, um alte Verletzungen wieder aufzuwärmen.

Er macht spöttische Bemerkungen über seine Kinder, stellt sie bloß, lacht über ihre Schwächen – alles unter dem Deckmantel des „Humors“. Doch am nächsten Tag weiß er angeblich von nichts mehr. Das klassische Muster: erst verletzen, dann leugnen, dann das Opfer beschuldigen, zu übertreiben.

Alkohol wird so zu einer Waffe. Er erlaubt dem Narzissten, seine Aggressionen auszuleben, ohne Verantwortung zu übernehmen. Denn „er war ja betrunken“. Diese Ausrede wird zu einem Schutzschild, hinter dem sich das wahre Gesicht verbirgt.

Die doppelte Falle der Partner

Wer mit einem trinkenden Narzissten lebt, gerät oft in eine doppelte Falle. Zunächst versucht man, das Trinken zu verstehen – vielleicht als Ventil für Stress oder als Ausdruck von Schmerz.

Doch mit der Zeit merkt man, dass der Alkohol keine Entschuldigung, sondern ein Werkzeug ist. Der Partner nutzt ihn, um Kontrolle auszuüben, um Schuldgefühle zu erzeugen oder um emotionale Distanz zu schaffen.

Ein Beispiel: Eine Frau lebt mit einem Mann, der regelmäßig trinkt. An nüchternen Tagen ist er charmant und aufmerksam, macht ihr Komplimente, plant gemeinsame Aktivitäten. Doch wenn er trinkt, wird er kalt, sarkastisch, beleidigend.

Er zieht sich zurück oder provoziert Streit. Am nächsten Tag tut er so, als wäre nichts geschehen – oder schlimmer, er dreht die Situation um. „Du übertreibst. Ich wollte doch nur reden. Du bist diejenige, die Probleme sucht.“

So entsteht eine Dynamik, in der das Opfer beginnt, an seiner eigenen Wahrnehmung zu zweifeln. Der Narzisst nutzt Alkohol, um emotionale Manipulation zu intensivieren.

Alkohol und das narzisstische Drama

Narzissten sind Meister der Inszenierung. Wenn sie trinken, wird diese Neigung oft noch ausgeprägter.

Sie machen Szenen in der Öffentlichkeit, beschuldigen andere, erzeugen Mitleid oder dramatisieren ihr eigenes Leid. „Niemand versteht mich“, „Ich trinke, weil ich so enttäuscht wurde“, „Du hast mich dazu gebracht“ – typische Sätze, die die Verantwortung verschieben.

In Wirklichkeit ist der Alkohol nicht die Ursache ihres Verhaltens, sondern ein Katalysator. Er gibt ihnen die Möglichkeit, ungestraft das zu zeigen, was sie sonst verbergen: Wut, Neid, Minderwertigkeit.

Ein narzisstischer Kollege, der nach der Weihnachtsfeier zu viel trinkt, beginnt plötzlich, über andere herzuziehen, alte Konflikte aufzuwärmen oder den Chef offen zu beleidigen.

Am nächsten Tag erklärt er: „Ich war betrunken, das war nicht so gemeint.“ Doch in Wahrheit war es genau das, was er dachte – der Alkohol hat es nur ans Licht gebracht.

Das Schuldspiel danach

Nach dem Trinken folgt fast immer die zweite Phase: das Schuldspiel.

Narzissten können selten Verantwortung übernehmen, und so suchen sie jemanden, der schuld ist. Meistens bist das du. Du hättest ihn provoziert, du hättest ihn im Stich gelassen, du hättest ihn kontrolliert.

Diese Umkehrung ist ein zentrales Muster: Der Narzisst präsentiert sich als Opfer seiner Umgebung, seiner Vergangenheit, seiner Emotionen – und des Alkohols.

Wenn du verletzt oder wütend reagierst, gilt das als Beweis, dass du „übertreibst“ oder „nicht verstehst, wie schwer er es hat“.

So entsteht eine Spirale aus Schuld, Rechtfertigung und emotionaler Erschöpfung. Du beginnst, seine Ausbrüche zu entschuldigen. Vielleicht denkst du: „Er wollte das nicht.

Wenn er nüchtern ist, ist er anders.“ Doch mit der Zeit verschwimmt die Grenze zwischen dem betrunkenen und dem nüchternen Narzissten. Beide Versionen gehören zusammen – sie sind Ausdruck derselben Persönlichkeitsstruktur.

Warum Narzissten trinken

Nicht jeder Narzisst trinkt, aber wenn sie es tun, steckt oft eine tiefere Dynamik dahinter.

Alkohol bietet ihnen kurzfristig das, was sie innerlich ständig suchen: Selbstbestätigung, Entspannung, ein Gefühl von Größe. Unter Alkoholeinfluss fühlen sie sich noch wichtiger, noch klüger, noch charmanter – und gleichzeitig wird der Kontakt zur Realität schwächer.

Doch sobald die Wirkung nachlässt, taucht die innere Leere wieder auf – tiefer als zuvor. Das führt dazu, dass sie noch mehr trinken oder noch aggressiver reagieren.

Der Alkohol wird zum Ventil für die Wut über die eigene Schwäche, über die Unfähigkeit, echte Nähe oder Selbstreflexion zuzulassen.

Der Weg zur Klarheit

Wer mit einem narzisstischen Trinker lebt, steht vor einer schweren Aufgabe: den Kreislauf zu durchbrechen, ohne sich selbst zu verlieren.

Es ist nicht deine Aufgabe, ihn zu retten oder sein Verhalten zu entschuldigen. Es ist deine Aufgabe, dich zu schützen.

Das beginnt mit innerer Klarheit: Alkohol enthemmt nicht nur, er entlarvt. Das, was unter Alkohol sichtbar wird, war schon da – nur besser versteckt. Wenn ein Narzisst betrunken grausam, beleidigend oder manipulativ ist, zeigt er, wer er wirklich ist, nicht wer er zufällig im Rausch wird.

Manche Betroffene berichten, dass die größten Erkenntnisse über ihren narzisstischen Partner in genau diesen Momenten kamen – wenn die Maske fiel, und sie das kalte, verletzende Innenleben sahen, das sonst hinter Charme verborgen war.

Die Entscheidung für dich selbst

Am Ende bleibt die wichtigste Erkenntnis: Du kannst sein Trinken nicht kontrollieren. Du kannst seine Wut nicht heilen. Aber du kannst dich entscheiden, aus der Rolle des Opfers herauszutreten.

Narzissten bestrafen oft genau die Menschen, die sie am meisten brauchen, weil Nähe sie an ihre eigene Schwäche erinnert. Alkohol gibt ihnen den Mut, diese Schwäche zu übertönen – mit Angriff, Schuldzuweisung oder Drama.

Doch du musst nicht länger Teil dieses Dramas sein. Deine Stärke liegt in der Distanz, in der klaren Entscheidung, dich selbst wichtiger zu nehmen als seine Krise.

Denn wer mit einem narzisstischen Trinker lebt, kämpft nicht gegen den Alkohol, sondern gegen eine Persönlichkeit, die keine Verantwortung kennt. Und dieser Kampf endet erst dann, wenn du dich entscheidest, ihn nicht mehr mitzukämpfen.

Author

  • Melina Lauer Fuchs

    Ich bin Melina, Autorin dieses Textes. Mit meinen Worten möchte ich berühren, aufrütteln und zum Nachdenken anregen. Themen wie emotionale Verletzungen, familiäre Muster und inneres Wachstum begleiten mich seit vielen Jahren – beruflich wie persönlich. Wenn du dich in meinen Zeilen wiederfindest, dann weißt du: Du bist nicht allein.

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